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Kirchenasyl nach BayVGH grundsätzlich kein rechtliches Abschiebungshindernis

Bemerkung der Landesanwltschaft Bayern zu BayVGH, Beschl. v. 28.08.2018 – 10 C 18.1473 / Weitere Schlagworte: Duldungsanspruch; rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung

von Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl, Landesanwaltschaft Bayern

Orientierungssatz der LAB:

Kirchenasyl begründet grundsätzlich keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

1. Das politisch kontrovers diskutierte Thema „Kirchenasyl“ (vgl. zum Kirchenasyl in Deutschland etwa BT-Drs. 19/3526, 19/2349 und 18/9894 sowie in Bayern LT-Drs. 17/21894, 17/18566, 17/18229 und 17/18132) beschäftigt in der Vollzugspraxis nicht nur die Strafgerichte, sondern auch die Verwaltungsgerichte, wobei dort sowohl die Frage der Legalität des Kirchenasyls an sich als auch die asyl- und ausländerrechtlichen sowie die verwaltungsprozessualen Folgeprobleme des sog. „offenen“ (d.h. gegenüber den zuständigen Behörden offenbarten) oder „verdeckten“ (d.h. gegenüber den zuständigen Behörden nicht offenbarten) Kirchenasyls inmitten stehen (vgl. nur in letzter Zeit zum Ganzen: Botta, Das Kirchenasyl als rechtsfreier Raum? Zum Rechtsschutzbedürfnis von Kirchenasylflüchtlingen, ZAR 2017, 434 ff.; Larsen, Kirchenasyl und Verfassungsstaat, ZAR 2017, 121 ff.; Schwemer, Staatlich anerkanntes Kirchenasyl – Systemfremd in unserer rechtsstaatlichen Ordnung, ZRP 2017, 125 f.).

2. So hat kürzlich in einem Strafverfahren das OLG München in seinem viel beachteten Urteil vom 03.05.2018 (4 OLG 13 Ss 54/18 mit Anm. Bieda, ZAR 2018, 275 f.) entschieden, dass Kirchenasyl kein in der geltenden Rechtsordnung anerkanntes Rechtsinstitut sei und der Eintritt in ein Kirchenasyl deshalb keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung begründe (Leitsatz 2). Unterlasse die Ausländerbehörde die Vollziehung der Abschiebung, weil sie Kirchenasyl grundsätzlich als christlich-humanitäre Tradition toleriere, so liege darin weder eine Ermessensduldung noch eine stillschweigende bzw. faktische Duldung und führe dies auch nicht zu einem Wegfall der Strafbarkeit (Leitsatz 3). Trete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgrund einer mit Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche am 24.02.2015 getroffenen Vereinbarung in eine erneute Einzelfallprüfung ein, so liege darin ein rechtliches Abschiebungshindernis, das einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG begründe, solange die Einzelfallprüfung anhalte (Leitsatz 4).

3. Dieser Rechtsauffassung des OLG München hat sich der 10. Senat des BayVGH im vorliegenden Beschluss (Rn. 13) – sowie in einem weiteren Beschluss vom 29.08.2018 – 10 C 18.1474, Rn. 13 – angeschlossen. Ein Ausländer, der Kirchenasyl für sich in Anspruch nehme, könne aus der christlich-humanitären Tradition des Kirchenasyls keine ihm zustehenden besonderen Rechte herleiten, weil Kirchenasyl kein in der geltenden Rechtsordnung anerkanntes Recht sei. Daher begründe das Kirchenasyl grundsätzlich keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG. Der BayVGH verweist hierzu auf die Kommentierung von Masuch/Gordzielik, in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 60a Rn. 17 mit weiteren Nachweisen, wonach das „Kirchenasyl“ keine rechtliche Unmöglichkeit gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begründe, wenngleich es faktisch Berücksichtigung finde.

So teilte etwa das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr in seiner Antwort vom 21.09.2017 auf eine Schriftliche Anfrage der SPD-Landtagsfraktion vom 19.07.2017 mit, dass in Bayern kein Kirchenasyl durch Abschiebung beendet wurde (siehe LT-Drs. 17/18229).

4. Etwas anderes (d.h. Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) könne – so der BayVGH im Beschluss vom 28.08.2018 (a.a.O. Rn. 13) – nach Auffassung des OLG München allenfalls dann gelten, wenn aufgrund der Vereinbarung, die die zuständigen Behörden hinsichtlich der Behandlung von Kirchenasylfällen getroffen hätten, ein Bestätigungsschreiben des BAMF vorliege, wonach der konkrete Einzelfall nochmals überprüft werde. Im vorliegenden Fall habe der Kläger indes keine entsprechende Bestätigung vorgelegt, wonach das BAMF in seinem Fall in eine lösungsorientierte Einzelfallprüfung entsprechend der Bearbeitungshinweise des BAMF zu Kirchenasylfällen eingetreten sei.

Net-Dokument: BayRVR2019021501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts und schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Ausländerrecht und Staatsangehörigkeitsrecht.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.