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BayVerfGH: Organstreitigkeit wegen der Reaktion einer Staatsministerin auf Erklärungen von Landtagsabgeordneten in der Modellbauaffäre

Verfassungsstreitigkeit zwischen einem Abgeordneten sowie der Landtagsfraktion FREIE WÄHLER (Antragsteller) und der Bayerischen Staatskanzlei (Antragsgegnerin) über die Frage, ob Staatsministerin a.D. Haderthauer die Rechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1, Art. 16 a Abs. 1 und 2 BV verletzt hat, indem sie die Landtagsabgeordneten Streibl und Dr. Bauer mit Schreiben vom 11. Juni 2014 unter Benutzung ihrer Amtsfunktion als Staatsministerin und Leiterin der Staatskanzlei zum Unterlassen bestimmter Erklärungen aufforderte, die die Abgeordneten zur Grundlage eines Dringlichkeitsantrags im Landtag vom 3. Juni 2014 gemacht hatten, und indem sie eine Abschrift dieser Unterlassungsaufforderung an die Landtagsfraktion der FREIEN WÄHLER und die Fränkische Landeszeitung übersenden ließ

I.

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 3. Juni 2014 reichten die Abgeordneten und die Fraktion der FREIEN WÄHLER einen Dringlichkeitsantrag im Bayerischen Landtag ein. Ziel war es, die „Beteiligung von Frau Staatsministerin Christine Haderthauer im Zusammenhang mit der Firma ‚Sapor Modelltechnik‘“ aufzuklären, die in Kliniken für forensische Psychiatrie hochwertige Modellautos hatte herstellen lassen. Zu diesem Zweck sollte die Bayerische Staatsregierung aufgefordert werden, zu mehreren Fragen Stellung zu nehmen. Diese bezogen sich auf die Funktion der Ministerin als Gesellschafterin oder Geschäftsführerin der Firma, auf einen sich daraus möglicherweise ergebenden Konflikt mit ihren fachaufsichtlichen Pflichten als frühere Sozialministerin und auf die Anzahl der produzierten Modellautos. Zur Begründung wurde auf Widersprüche verwiesen. Während die Ministerin bisher angegeben habe, dass lediglich 60 Modellautos in diesem Zeitraum hergestellt worden seien, belegten Unterlagen, dass es tatsächlich 132 Stück gewesen seien. Über den Dringlichkeitsantrag berichtete die Fränkische Landeszeitung am 6. Juni 2014.

Am 11. Juni 2014 übermittelte das Büro der damaligen Staatsministerin in der Bayerischen Staatskanzlei ein von ihr unterzeichnetes Schreiben an zwei Abgeordnete sowie nachrichtlich an den damaligen Fraktionsvorsitzenden und die Fraktionsgeschäftsstelle der FREIEN WÄHLER. Darin trat die Staatsministerin dem nach ihrer Meinung durch den Zeitungsartikel entstehenden Eindruck entgegen, sie habe sich zur Anzahl der gefertigten und verkauften Modelle geäußert. Ferner wies sie darauf hin, dass es ebenso wenig eine Aussage von ihr gebe, wie viele Modelle versteuert worden seien. Sie forderte die Adressaten des Schreibens abschließend auf, dieser Darstellung widersprechende, aus ihrer Sicht unwahre Behauptungen künftig zu unterlassen.

Die Antragsteller sind der Auffassung, hierdurch würden die Abgeordnetenrechte aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1, Art. 16 a Abs. 1 und 2 Bayerische Verfassung verletzt. Durch das als Regierungshandeln einzuordnende Schreiben werde die verfassungsrechtlich vorgesehene Kontrolle der Regierung durch das Parlament in ihr Gegenteil verkehrt.

II.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat den Antrag am 26. Februar 2019 abgewiesen. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Grundsätze:

1. Das Schreiben vom 11. Juni 2014, in dem die damalige Staatsministerin Haderthauer Landtagsabgeordnete zur Unterlassung bestimmter Äußerungen im Zusammenhang mit den bei der Arbeitstherapie der Bezirkskrankenhäuser Ansbach und Straubing produzierten Modellautos aufforderte, ist der Staatskanzlei zuzurechnen.

2. Wird ein an sich der Privatsphäre zuzuordnendes Verhalten Gegenstand der öffentlichen politischen Auseinandersetzung im Landtag, ist eine Gegenäußerung des betroffenen Regierungsmitglieds auch und gerade in seiner amtlichen Funktion im Hinblick auf einen wirkungsgleichen Umgang der Repräsentanten der Gewalten im Staat grundsätzlich zulässig.

3. Im Rahmen einer solchen Stellungnahme verbieten sich zwar unsachliche, diskriminierende oder diffamierende Äußerungen sowie dem Prinzip der Waffengleichheit und der gegenseitigen Rücksichtnahme widersprechender unangemessener Druck; darüber hinaus kann diese Reaktion aber naturgemäß nur eine persönliche Einschätzung darstellen und unterliegt daher nicht dem Anspruch auf Neutralität.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

1. In formeller Hinsicht ist weder zu beanstanden, dass Staatsministerin Haderthauer mit dem Schreiben vom 11. Juni 2014 von ihrer Zuständigkeit für eine Antwort ausgegangen ist, noch, dass sie dabei den Briefkopf der Staatskanzlei verwendet und das Schreiben durch staatliche Bedienstete hat versenden lassen.

Das mit dem Dringlichkeitsantrag verfolgte Auskunftsbegehren weist Bezüge zur Tätigkeit der Frau Haderthauer als Regierungsmitglied auf; sie war vom 30. Oktober 2008 bis 9. Oktober 2013 Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen und hatte anschließend bis 1. September 2014 die Funktion als Leiterin der Staatskanzlei sowie als Staatsministerin für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben inne. Ein Anlass für die Einreichung des Dringlichkeitsantrags ist, wie sich aus seiner Begründung ergibt, darin zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung gegen die Firma „SAPOR Modelltechnik“ eingeleitet habe; in diesem Zusammenhang – so die Begründung weiter – seien auch Vorwürfe gegen die Ministerin erhoben worden.

Das Verhalten in steuerlichen Angelegenheiten ist zwar grundsätzlich der Privatsphäre zuzuordnen. Im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts kann jedoch auch nach nichtdienstlichen Angelegenheiten gefragt werden, soweit sich ein Zusammenhang mit dem Regierungshandeln ergeben kann. Dies ist z. B. der Fall, wenn sich aufgrund der öffentlichen Diskussion über dieses Verhalten Auswirkungen auf die Amtsführung ergeben können oder wenn die Eignung für das Amt wegen der Vorbildwirkung in der Öffentlichkeit infrage steht. Von einer solchen mittelbaren Verknüpfung zwischen einer Privatangelegenheit und der Regierungstätigkeit gehen die Fragesteller im Dringlichkeitsantrag offenbar aus, wenn sie im Rahmen seiner Begründung auf ihrer Ansicht nach bestehende Widersprüche in den Angaben der Ministerin verweisen und argumentieren, die aktuell geäußerten Vorwürfe seien derart schwerwiegend, dass die Staatsregierung hierzu unverzüglich Stellung beziehen und zu einer umfassenden Aufklärung beitragen müsse.

Der Dringlichkeitsantrag hat darüber hinaus unmittelbar den (früheren) Funktionsbereich der Frau Haderthauer als Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen zum Gegenstand. Als Staatsministerin dieses Geschäftsbereichs war sie für die Fachaufsicht über den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zuständig, der auch die Arbeitstherapie umfasst.

Die Intention der Unterstützer des Dringlichkeitsantrags, die persönliche und fachliche Eignung der Ministerin als Inhaberin des früheren und des damaligen Regierungsamts anzugreifen und einen Bezug zum Regierungshandeln herzustellen, steht daher außer Frage. Angesichts des privaten Bezugs der gestellten Fragen kann Staatsministerin a. D. Haderthauer ein legitimes Interesse an einer Darstellung ihrer persönlichen Sicht der Dinge grundsätzlich nicht abgesprochen werden. Wird ein an sich der Privatsphäre zuzuordnendes Verhalten Gegenstand der öffentlichen politischen Auseinandersetzung im Landtag, muss eine Gegenäußerung des betroffenen Regierungsmitglieds auch und gerade in seiner amtlichen Funktion im Hinblick auf einen – dem Prinzip der Waffengleichheit und der gegenseitigen Rücksichtnahme geschuldeten – wirkungsgleichen Umgang der Repräsentanten der Gewalten im Staat grundsätzlich möglich sein. Die Befugnis, als Staatsministerin Stellung zu beziehen, umfasst das Recht, dabei auf die Ressourcen der Staatskanzlei zurückzugreifen.

2. Ebenso wenig ergibt sich aus dem Inhalt des Schreibens vom 11. Juni 2014 eine Verletzung der Antragsteller in ihren parlamentarischen Rechten.

In dem Schreiben stellt die Ministerin ihre Sichtweise zu bestimmten, im Zeitungsartikel wiedergegebenen, auf den Dringlichkeitsantrag der Antragsteller zurückgehenden Behauptungen dar. Zwar fordert sie die beiden Abgeordneten abschließend auf, diese Behauptungen künftig zu unterlassen. Da ihr Begehren jedoch für den Fall, dass ihm keine Folge geleistet wird, weder ausdrücklich noch implizit mit der Ankündigung einer Sanktion verknüpft ist, liegt es schon deshalb fern, von einer unzulässigen Einflussnahme auf die parlamentarische Arbeit der Antragsteller auszugehen. Zudem hat das Schreiben seinem Inhalt nach nicht den Zweck, im Dringlichkeitsantrag enthaltene Fragen an die Staatsregierung zu verhindern; angegriffen wird vielmehr lediglich eine in der Begründung aufgestellte Behauptung.

Es geht um eine Reaktion auf Äußerungen, durch die die persönliche und fachliche Integrität der Ministerin infrage gestellt wurde, und die damit verbundene Zurückweisung einer aus ihrer Sicht fehlerhaften Sachdarstellung der Antragsteller. Im Rahmen einer solchen Stellungnahme verbieten sich zwar unsachliche, diskriminierende oder diffamierende Äußerungen sowie dem Prinzip der Waffengleichheit und der gegenseitigen Rücksichtnahme widersprechender unangemessener Druck; darüber hinaus kann diese Reaktion aber naturgemäß nur eine persönliche Einschätzung darstellen und unterliegt daher nicht dem Anspruch auf Neutralität. Von einer unzulässigen Überschreitung der dargestellten Grenzen kann hier keine Rede sein, da die beanstandete Äußerung nach Art und Charakter eine bloße Gegendarstellung beinhaltet.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, den Wahrheitsgehalt der Äußerungen der Ministerin in ihrem Schreiben vom 11. Juni 2014 zu überprüfen. Bei diesbezüglichen Einwänden konnten die Antragsteller entweder auf der Grundlage ihres parlamentarischen Fragerechts mithilfe einer Anfrage im Landtag oder im Rahmen des am 27. November 2014 eingesetzten Untersuchungsausschusses „Modellbau“ um weitere Aufklärung nachsuchen. Da die Möglichkeit bestanden hat, ihr Begehren auf parlamentarischem Weg weiterzuverfolgen, fehlt es insoweit am Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller für eine inhaltliche Klärung im Organstreitverfahren.

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 28.02.2019 zur Entsch. v. 26.02.2019 – Vf. 51-IVa-17