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Berechnung von 10 H bei Bebauungsplan – Nach BayVGH bereits auf Baugrenze abzustellen, nicht erst auf Wohngebäude

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Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BayVGH, Urt. v. 30.04.2019 – 22 BV 18.842 / Landesrechtliche Normen: BayBO

mitgeteilt von Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsatz:

Bei der Bemessung des Mindestabstands nach Art. 82 Abs. 1 und 2 BayBO (sog. 10 H-Regelung) von der Mitte des Mastfußes einer Windenergieanlage zum nächstgelegenen Wohngebäude, das in einem Gebiet mit Bebauungsplan nicht nur ausnahmsweise zulässigerweise errichtet werden kann, ist gegebenenfalls auf eine für das betreffende Baugrundstück festgesetzte Baugrenze abzustellen. Das gilt auch dann, wenn auf diesem Grundstück bereits ein Wohngebäude zulässigerweise errichtet wurde, durch welches die Baugrenze nicht ausgeschöpft wird.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Streitgegenständlich ist die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen, die das zuständige Landratsamt abgelehnt hat. Die beantragten Windkraftanlagen halten zwar einen Abstand von 10 H zum nächstgelegenen Wohngebäude innerhalb des Bebauungsplangebiets ein, nicht aber in Bezug auf die für dieses Grundstück festgesetzte Baugrenze. Für die Berechnung der Höhe kommt es auf Art. 82 Abs. 2 BayBO an, der folgenden Wortlaut hat:

„(2) 1Höhe im Sinn des Abs. 1 ist die Nabenhöhe zuzüglich Radius des Rotors. 2Der Abstand bemisst sich von der Mitte des Mastfußes bis zum nächstgelegenen Wohngebäude, das im jeweiligen Gebiet im Sinn des Abs. 1 zulässigerweise errichtet wurde bzw. errichtet werden kann.“

Nach Auffassung des BayVGH bemisst sich der Mindestabstand vorliegend nach Art. 82 Abs. 1 und 2 BayBO von der Mitte des jeweiligen Mastfußes bis zur Baugrenze auf dem nächstgelegenen Grundstück. Der BayVGH stellt fest, dass sich aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 BayBO nicht zweifelsfrei ergebe, ob sich der Mindestabstand nur auf zulässigerweise errichtete oder auch auf solche Wohngebäude beziehe, die im jeweiligen Gebiet im Sinne der Vorschrift zulässigerweise errichtet werden könnten. Aus Art. 82 Abs. 2 Satz 2 BayBO ergebe sich allerdings eindeutig, dass es auf das nächstgelegene Wohngebäude ankomme, welches einer der beiden vorgenannten Kategorien angehöre. Die in diesem Zusammenhang verwandte Konjunktion („bzw.“) lasse nicht erkennen, dass ggf. vorrangig auf das nächstgelegene Wohngebäude abzustellen wäre, das bereits zulässigerweise errichtet worden sei. Der BayVGH schließt auch aus der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/2137, S. 7 f.), dass die 10 H-Regelung einen Schutz für Gebiete im Sinne des Art. 82 Abs. 1 BayBO vor heranrückenden Anlagen i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB gewährleisten solle. Diese Zielsetzung würde nur unvollständig erreicht, wenn die Regelung ggf. vorrangig in Bezug auf vorhandene Wohnbebauung anzuwenden wäre.

Der BayVGH weist darauf hin, dass auch ein Wohngebäude im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, welches die Baugrenze überschreite, für die Berechnung des Mindestabstands maßgeblich sein könne, wenn es zum Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung betreffend die Windenergieanlage zulässigerweise errichtet worden sei oder zulässigerweise errichtet werden könne. Ein Wohngebäude könne in diesem Sinne auch unter Überschreitung einer Baugrenze zulässigerweise errichtet werden, wenn für die Errichtung eine wirksame Baugenehmigung erteilt worden sei, z.B. unter Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung.

Die streitgegenständlichen Windenergieanlagen sind damit als sonstige Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig. Das VG hatte die Klage auf Erteilung der Genehmigung zu Recht abgewiesen.

Net-Dokument: BayRVR2019071501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauffolgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.