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BayVerfGH: Volksbegehren „Stoppt den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern“ nicht zugelassen

I. Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Änderung des Bayerischen Krankenhausgesetzes gegeben sind. Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens enthält vor allem Qualitätsanforderungen und Regelungen zur Bemessung des Pflegepersonals für den Bereich der stationären Krankenhausbehandlung sowie Vorgaben zur Personalbemessung und Qualifikation von Reinigungskräften. Für ihr Anliegen haben die Initiatoren des Volksbegehrens nach eigenen Angaben über 100.000 Unterschriften gesammelt; davon wurden Listen mit insgesamt 56.240 Unterschriften eingereicht. Die erforderliche Anzahl von 25.000 gültigen Unterschriften wurde damit beigebracht. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hat die Zulassung des Volksbegehrens abgelehnt und daher die Sache dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 64 Landeswahlgesetz (LWG) vorgelegt. Von dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs hängt ab, ob das Volksbegehren bekannt zu machen ist und sich die Bürgerinnen und Bürger bei den Gemeinden in Listen für das Anliegen eintragen können.

II.

1. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hält das Volksbegehren für nicht zulässig.

Der Landesgesetzgeber habe für die in Art. 4 a und Art. 4 c des Volksbegehrensentwurfs vorgesehenen Regelungen zur Bemessung des Pflegepersonalbedarfs in Krankenhäusern keine Gesetzgebungsbefugnis. Bedenken bestünden gegen diese Regelungen darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Gleiches gelte für die Vorschriften über das Reinigungspersonal. Die in Art. 4 b Abs. 1 Satz 8 vorgesehene Verpflichtung der Staatsregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs verletze deren Initiativrecht. Die dynamische Verweisung in Art. 4 a Abs. 6 Satz 3 des Volksbegehrensentwurfs auf die Empfehlungen des Bundesverbandes Geriatrie zu den Personalkennzahlen in der Geriatrie sei im Hinblick auf das Demokratieprinzip und das Rechtstaatsprinzip bedenklich. Außerdem genüge das beantragte Volksbegehren nicht den zur Gewährleistung der Abstimmungsfreiheit zu beachtenden Anforderungen, weil seine Begründung unzureichend sei. Dahingestellt bleiben könne, ob der Volksbegehrensentwurf überdies gegen das Verbot der Koppelung nicht zusammenhängender Materien und gegen das Verbot von Volksbegehren über den Staatshaushalt verstoße.

2. Der Beauftragte des Volksbegehrens beantragt, die Zulässigkeit des Volksbegehrens festzustellen, da es mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Im Rahmen der Öffnungsklausel des § 6 Abs. 1 a Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) würden den Ländern ausdrücklich Regelungskompetenzen zur Qualitätssicherung in der Krankenhausplanung eingeräumt; dies schließe Regelungen zur Personalbemessung ein. Die bestehenden bundesrechtlichen Normen seien nicht abschließend. Darin werde lediglich eine Untergrenze als eine absolute Mindestanforderung geregelt, die – anders als die Konzeption des Volksbegehrens – nicht geeignet sei, für die Patienten und die Pflegekräfte eine bestmögliche Versorgung sicherzustellen. Es handle sich daher um zwei unterschiedliche Regelungsmaterien. Ein Verstoß der Personalbemessungsregelungen gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sei nicht gegeben. Die Vorgaben zum Reinigungspersonal und zu den Reinigungsstandards verletzten die Betreiber von Krankenhäusern nicht in ihren Rechten. Durch Art. 4 b Abs. 1 des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens werde der Staatsregierung kein Gesetzestext aufoktroyiert. Die Verweisung auf Empfehlungen des Bundesverbandes Geriatrie sei als zulässig anzusehen. Ebenso wenig sei die Begründung des Volksbegehrens zu beanstanden. Eine Verletzung des Koppelungsverbots liege nicht vor. Ein unzulässiger Eingriff in den Staatshaushalt sei nicht ersichtlich.

III.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 16. Juli 2019 entschieden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht gegeben sind. Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

1. Der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf ist mit Bundesrecht unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die Gesetzgebungskompetenz fehlt.

a) Die auf der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG beruhenden bundesgesetzlichen Normierungen zur Bemessung und Finanzierung des Pflegepersonalbedarfs in Krankenhäusern und zu Personaluntergrenzen insbesondere in § 136 a Abs. 2, §§ 137 i und 137 j Sozialgesetzbuch V (SGB V) versperren die Möglichkeit einer landesrechtlichen Regelung derselben Materie.

b) Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Bundesgesetzgeber durch die erschöpfende Regelung der Pflegepersonalausstattung in Krankenhäusern die ihm nach dem Grundgesetz zustehenden Gesetzgebungszuständigkeiten überschritten hätte.

c) Die im Bundesrecht enthaltenen Öffnungsklauseln (§ 136 b Abs. 2 Satz 4 SGB V, § 6 Abs. 1 a Satz 2 KHG) erlauben keine Regelungen der Länder zur Ausstattung der Krankenhäuser mit Pflegepersonal.

2. Die Staatsregierung hat grundsätzlich selbst darüber zu befinden, ob und in welcher Weise sie von dem ihr in Art. 71 Bayerische Verfassung (BV) eingeräumten Gesetzesinitiativrecht Gebrauch machen will. Der Volksgesetzgeber darf die Staatsregierung nicht zur Vorlage eines Gesetzentwurfs verpflichten.

3. Die sich aus Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV ergebende Abstimmungsfreiheit ist verletzt, wenn in der Begründung des Volksbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise die geltende Rechtslage unzutreffend und unvollständig erläutert wird. Dieser Mangel kann durch das Nachschieben einer ergänzenden Begründung nicht geheilt werden. Das Risiko, dass sich die Rechtslage während des Sammelns von Unterschriften für ein Volksbegehren ändert und die Grundlage für eine Zulassung dadurch möglicherweise entfällt, geht zulasten seiner Initiatoren.

4. Ohne die für unzulässig erachteten Teile wäre das mit dem Volksbegehren verfolgte Anliegen nur noch ein Torso. Der verbleibende Inhalt des Gesetzentwurfs ist daher nicht zulassungsfähig.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art. 67 BV i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden.

a) In ständiger Rechtsprechung misst er dabei den Gesetzentwurf des Volksbegehrens nicht nur an der Bayerischen Verfassung, sondern überprüft ihn auch daraufhin, ob er mit Bundesrecht, insbesondere mit den Kompetenznormen des Grundgesetzes, vereinbar ist. Der Sinn dieser Überprüfung liegt darin, solche Volksbegehren zu vermeiden, bei denen von vornherein ohne jeden ernsthaften Zweifel davon auszugehen ist, dass das Gesetz nach einem erfolgreichen Volksentscheid wegen Verstoßes gegen Bundesrecht vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärt werden müsste.

b) Es ist dagegen nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, darüber zu befinden, ob die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen Regelungen sachgerecht, zweckmäßig, angemessen und praktikabel sind. Für die Entscheidung ist daher insbesondere nicht maßgeblich, wie die Vorschriften zur Bemessung des Pflegepersonalbedarfs in Krankenhäusern sowie die Bestimmungen über das Reinigungspersonal gesundheitspolitisch zu bewerten sind.

2. Die Bestimmungen der Art. 4 a und 4 c des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens zur Bemessung des Pflegefachpersonals an Krankenhäusern sind mit Bundesrecht unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG die erforderliche Gesetzgebungskompetenz fehlt.

a) Folgende bereits vorhandene bundesgesetzliche Normierungen versperren offensichtlich die Möglichkeit landesgesetzlicher Regelungen:

  • Für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser hat der Bund in der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) vom 18. Dezember 1990 Regelungen zur Personalbemessung erlassen (vgl. auch § 136 a Abs. 2 SGB V).
  • Mit der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) vom 5. Oktober 2018 wurden verbindliche Mindestanforderungen für pflegesensitive Bereiche in Krankenhäusern (Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie, Kardiologie, Neurologie und Herzchirurgie) vorgegeben (vgl. § 137 i SGB V).
  • Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) vom 11. Dezember 2018 bezweckt mit der Einführung sog. Pflegequotienten (Untergrenzen für das erforderliche Verhältnis zwischen Pflegepersonal und Pflegeaufwand) die Verbesserung der Pflegepersonalausstattung in allen Krankenhausbereichen (vgl. § 137 j SGB V). Zudem wird ab dem Jahr 2019 jede zusätzliche und jede aufgestockte Stelle für ausgebildetes Krankenpflegepersonal in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen vollständig finanziert.

Für Regelungen über die Bemessung des Pflegepersonals in Krankenhäusern steht dem Bundesgesetzgeber eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Recht der Sozialversicherung) zu. Sie betreffen die Qualität der Patientenversorgung und damit die Leistungserbringung in der Krankenversicherung.

b) Da der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz erschöpfend Gebrauch gemacht hat, fehlt es an einer Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers. Sowohl die Systematik der einschlägigen sozialrechtlichen Regelungen als auch deren Begründung lassen sich für den abschließenden Charakter anführen. Es ist fernliegend, dass der Bundesgesetzgeber ein konkurrierendes landesrechtliches Regelungssystem zur Pflegepersonalausstattung ermöglichen wollte. Hiergegen sprechen neben den Auswirkungen auf das bundeseinheitliche Vergütungssystem auch die Gesichtspunkte der Praktikabilität und der Effizienz. Die im Bundesrecht enthaltenen ausdrücklichen Öffnungsklauseln (§ 136 b Abs. 2 Satz 4 SGB V, § 6 Abs. 1 a Satz 2 KHG) erlauben keine Regelungen der Länder zur Ausstattung der Krankenhäuser mit Pflegepersonal.

Der Systematik der bundesrechtlichen Regelungen ist zu entnehmen, dass ihnen als Gesetzeszweck die Sicherung einer angemessenen Ausstattung der Krankenhäuser mit Pflegepersonal zugrunde liegt. Diese Intention entspricht derjenigen des Volksbegehrens. Der Bundesgesetzgeber will das gesetzte Ziel lediglich anders erreichen als die Initiatoren des Volksbegehrens. Wenn er dabei teilweise auf Freiwilligkeit und finanzielle Anreize setzt, ist dies Ausdruck seines eigenen abschließenden Gesamtkonzepts. Dass die (verpflichtenden) Pflegepersonalvorgaben der bundesrechtlichen Normen möglicherweise hinter den Anforderungen im Gesetzentwurf des Volksbegehrens zurückbleiben, führt nicht zu einer Regelungskompetenz der Länder. Diese sind nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine abschließende Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten. Das Grundgesetz weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers nachzubessern.

2. Art. 4 b Abs. 1 Satz 8 des dem Volksbegehren zugrunde liegenden Gesetzentwurfs, wonach die Staatsregierung dem Landtag spätestens drei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes einen Gesetzentwurf vorzulegen hat, verletzt das durch Art. 71 BV gewährleistete Gesetzesinitiativrecht der Staatsregierung.

Nach Art. 71 BV werden die Gesetzesvorlagen vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung, aus der Mitte des Landtags oder vom Volk (Volksbegehren) eingebracht. Ob die nach Art. 71 BV Berechtigten ihr Initiativrecht in Anspruch nehmen wollen, ist ihrer selbständigen politischen Entscheidungsgewalt überlassen. Zwar können sich aus Verfassungs- oder Unionsrecht unter Umständen Verpflichtungen zum Erlass eines förmlichen Gesetzes ergeben. Die im Volksbegehren vorgesehene Verpflichtung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs dient jedoch nicht der Erfüllung einer auf höherrangigem Recht beruhenden Novellierungsverpflichtung, sondern soll den von einer Expertenkommission vorgelegten Abschlussbericht zur Weiterentwicklung der Personalvorgaben umsetzen. Auf einfachgesetzlichem Wege kann aber das verfassungsrechtlich begründete Gesetzesinitiativrecht der Staatsregierung weder hinsichtlich des „Ob“ noch hinsichtlich des „Wie“ eingeschränkt werden. Auch der Volksgesetzgeber darf sich über die Kompetenzvorschrift des Art. 71 BV nicht hinwegsetzen und die Staatsregierung zur Vorlage eines bestimmten Gesetzentwurfs verpflichten, über den der Bayerische Landtag dann im parlamentarischen Verfahren beraten und beschließen müsste.

3. Das beantragte Volksbegehren erfüllt zumindest teilweise nicht die Anforderungen, die sich aus Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV ergeben, um die Abstimmungsfreiheit im Rahmen der Volksgesetzgebung zu gewährleisten.

Nach Art. 74 Abs. 2 BV, Art. 64 Abs. 1 Satz 2 LWG muss dem Volksbegehren ein ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen. Die Entscheidung der Stimmberechtigten über den Gesetzentwurf kann nur dann sachgerecht ausfallen, wenn dieser so ausgestaltet ist, dass sie seinen Inhalt verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Dies ist hier nicht der Fall, da in der Begründung des Volksbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise die geltende Rechtslage unzutreffend und unvollständig erläutert wird. Dieser Beanstandung steht nicht entgegen, dass die neuen bundesrechtlichen Regelungen zur Personalbemessung in den Krankenhäusern im Zeitpunkt der Unterschriftensammlung noch nicht erlassen waren. Das Risiko, dass sich die Rechtslage während des Sammelns von Unterschriften für ein Volksbegehren ändert und die Grundlage für eine Zulassung dadurch möglicherweise entfällt, geht zulasten seiner Initiatoren.

Die Mängel könnten im Übrigen durch Nachschieben einer ergänzten Begründung nicht geheilt werden. Dies hätte zur Folge, dass die Unterstützerunterschriften dem Gegenstand des Volksbegehrens nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit zugerechnet werden könnten, da sie von den Stimmberechtigten möglicherweise aufgrund anderer Vorstellungen geleistet worden sind.

4. Ob weitere der vom Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration erhobenen Beanstandungen durchgreifen, kann dahingestellt bleiben. Die vom Verfassungsgerichtshof für unzulässig erachteten Teile, die den Komplex der Bemessung des Krankenhauspflegepersonals betreffen, stellen bei objektiver Betrachtung wesentliche Bestandteile des gesamten Gesetzentwurfs dar. Dies führt dazu, dass die Voraussetzungen für die Zulassung des gesamten Volksbegehrens, also beispielsweise auch für die Regelungen zur Krankenhaushygiene, nicht gegeben sind.

Sondervotum

Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs trägt die Entscheidung zwar im Ergebnis mit, ist aber der Ansicht, die Begründung des Volksbegehrens verstoße nicht gegen Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV (IV. C. der Entscheidung, vgl. oben 3.).

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 16.07.2019 zur Entsch. v. 16.07.2019 – Vf. 41-IX-19

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