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BayVerfGH: Keine Außervollzugsetzung der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV)

In der Entscheidung vom 8. Mai 2020 hat der BayVerfGH es abgelehnt, die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 1. Mai 2020 (GVBl S. 255, BayMBl Nr. 239), die durch § 23 Abs. 2 und 3 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (BayMBl Nr. 240) und durch § 1 der Verordnung vom 7. Mai 2020 (BayMBl Nr. 247) geändert worden ist, durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen.

1. Die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung untersagt landesweit Veranstaltungen und Versammlungen (§ 1 Abs. 1); öffentliche Gottesdienste und öffentliche Versammlungen im Sinn des Bayerischen Versammlungsgesetzes sind nur unter engen infektionsschutzrechtlichen Voraussetzungen erlaubt (§§ 2, 3). Sämtliche Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens, sondern der Sport- und Freizeitgestaltung dienen, sind nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 untersagt, ebenso Gastronomiebetriebe, ausgenommen die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen (§ 4 Abs. 2), sowie der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken (§ 4 Abs. 3). Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels dürfen nur unter den Einschränkungen des § 4 Abs. 4 öffnen; Dienstleistungsbetriebe müssen die Anforderungen des § 4 Abs. 5 beachten. In der aktuell (noch) geltenden Fassung der Verordnung ist nahezu ausnahmslos der Besuch von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Altenheimen und Seniorenresidenzen untersagt (§ 5). Der Betrieb an den Hochschulen ist nach § 6 eingeschränkt. Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum (§§ 7, 7a) sind zusammen mit der Sonderregelung für Spielplätze (§ 7b) zum 6. Mai 2020 an die Stelle der allgemeinen Ausgangsbeschränkungen des § 7 a.F. getreten und ab 8. Mai 2020 weiter gelockert worden. Personen ab dem siebten Lebensjahr sind verpflichtet u.a. im öffentlichen Personennahverkehr (§ 8) und beim Einkaufen (§ 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4) eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Verstöße können nach Maßgabe des § 9 als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Die Antragsteller sind der Auffassung, diese Regelungen griffen in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheitsrechte der Bürger ein, die die Bayerische Verfassung garantiert. Sie haben deshalb Popularklage erhoben mit dem Ziel, dass u.a. die Dritte Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom BayVerfGH für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird. Zugleich wollen sie mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die Vorschriften sofort außer Vollzug gesetzt werden.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung abgelehnt.

a) Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Außervollzugsetzung besteht nur hinsichtlich der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in ihrer aktuell geltenden Fassung, also einschließlich der am 6. und 8. Mai 2020 in Kraft getretenen Änderungen zu den Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum. Die früher geltenden Fassungen und erst recht die mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft getretene Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, gegen die sich die Antragsteller in der Hauptsache ebenfalls wenden, können nicht mehr vorläufig außer Vollzug gesetzt werden.

b) Bezogen auf die aktuell geltenden Bestimmungen kann im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens bei überschlägiger Prüfung nicht von offensichtlichen Erfolgsaussichten, aber auch nicht von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Hauptantrags im Popularklageverfahren ausgegangen werden. Ob die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung insgesamt oder teilweise gegen die als verletzt gerügten Grundrechte oder sonstiges Verfassungsrecht verstößt, bedarf einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen dieses Eilverfahrens nicht möglich ist.

Die Einschätzung des Normgebers, dass eine Gefahrenlage für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen mit einer nicht auszuschließenden Überforderung der personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems weiterhin vorliegt, ist nachvollziehbar. Es widerspricht jedenfalls nicht offenkundig dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich der Verordnungsgeber für eine weitere Woche bis zum Ablauf des 10. Mai 2020 zu einer Fortführung der Eindämmungsmaßnahmen und der mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe entschieden hat. Die darin im Vergleich zu den Vorgängerregelungen enthaltenen nur vorsichtigen, schritt- und bereichsweisen Lockerungen dienen dem Ziel, die Anzahl der Neuinfektionen weiter zu verringern.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die aktuell geltenden Eindämmungsmaßnahmen insgesamt oder teilweise ungeeignet wären, den mit der Verordnung verfolgten Zweck zu fördern. Das gilt insbesondere für die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht). Das Robert-Koch-Institut empfiehlt ein generelles Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen Baustein, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. Diese Bewertung mag fachlich umstritten sein. Das Tragen eines Mundschutzes ist aber jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet, um Infektionen durch unerkannte Träger zu verringern. Es liegt zudem auf der Hand, dass die bloße Empfehlung in deutlich geringerem Maß dazu führen würde, dass bei den in der Verordnung bezeichneten Aufenthalten im öffentlichen Raum eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen wird. Dem Zweck, das Ansteckungsrisiko zu senken, wird daher durch eine Maskenpflicht gegenüber einer bloßen Empfehlung in deutlich höherem Maß Rechnung getragen.

c) Die demnach gebotene Folgenabwägung ergibt, dass der Vollzug der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in ihrer aktuell geltenden Fassung weder ganz noch teilweise auszusetzen ist.

aa) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich die Popularklage im Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, würde es zu Unrecht zu teilweise tiefgreifenden Grundrechtseingriffen kommen, die eine Vielzahl von Personen betreffen, teilweise massive unmittelbare wie mittelbare Folgen haben können und überwiegend irreversibel sind. Verstärkt wird die Wirkung der infektionsschutzrechtlichen Gebote, Verbote und Beschränkungen dadurch, dass Verstöße nach Maßgabe des § 9 3. BayIfSMV als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können.

bb) Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Popularklage aber später als unbegründet, würde es zu einer Vielzahl von Handlungen kommen, die durch die einzelnen Verordnungsbestimmungen unterbunden werden sollen. Damit entfiele das vom Verordnungsgeber gewählte Schutzkonzept insgesamt oder verlöre einzelne seiner aufeinander abgestimmten Bestandteile, obwohl sie geeignet, erforderlich und zumutbar wären, die Infektionsraten des Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine Begrenzung der persönlichen Kontakte möglichst gering zu halten. Infolgedessen würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, einer Überlastung des Gesundheitssystems und schlimmstenfalls des Todes von Menschen erhöhen.

cc) Bei Beurteilung und Abwägung dieser Umstände überwiegen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe.

Nach wie vor besteht in Bayern die – wohl abgeschwächte, in ihrem Ausmaß aber schwer einzuschätzende – Gefahr einer „zweiten Infektionswelle“, vor der zu schützen der Staat nach Art. 99 Satz 2 Hs. 2 BV auch verpflichtet ist. Demgegenüber müssen die mit den Verordnungsbestimmungen verbundenen Grundrechtsbeschränkungen und vielfältigen Beeinträchtigungen insbesondere persönlicher, wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Art derzeit zurücktreten, auch wenn sie bereits geraume Zeit andauern und inzwischen ein durchaus erhebliches Ausmaß erreicht haben.

Bei der Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und die inzwischen in Kraft getretenen Änderungen für große Bereiche bereits zu spürbaren Lockerungen gegenüber der früheren Rechtslage führen. Hinzu kommt, dass die angegriffene Verordnung nur für eine Woche Gültigkeit beansprucht und bereits mit Ablauf des 10. Mai 2020 außer Kraft tritt. Die mit ihr verbundenen Grundrechtseingriffe sind mithin zeitlich eng befristet. Schon am 9. Mai 2020 werden zudem die strikten Besuchsverbote gelockert, die § 5 3. BayIfSMV bislang für Krankenhäuser, vollstationäre Einrichtungen der Pflege, Altenheime und weitere Einrichtungen anordnet.

dd) Der Verfassungsgerichtshof hat im Rahmen der Folgenabschätzung erwogen, den Vollzug derjenigen aktuell geltenden Bestimmungen, die für bestimmte Bereiche eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung normieren, vorläufig insoweit auszusetzen, als sie solche Personen einbezieht, die aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen können. Hiervon wurde abgesehen, weil der bereits ab dem 11. Mai 2020 geltende § 1 Abs. 2 4. BayIfSMV eine sachgerechte und differenzierte Befreiung von der Maskenpflicht vorsieht und weil in den behördlichen Erläuterungen zum Umfang der aktuell geltenden Maskenpflicht darauf hingewiesen wird, dass Personen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen, wenn sie etwa unter Asthma oder einer anderen Erkrankung leiden, die das Tragen einer Maske unzumutbar erschwert.

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 08.05.2020 zur Entsch. v. 08.05.2020 – Vf. 34-VII-20

Redaktionelle Hinweise

  • Entscheidungen zur und Genese der 4. BayIfSMV: vgl. hier.
  • Entscheidungen zur und Genese der 3. BayIfSMV: vgl. hier.
  • Entscheidungen zur und Genese der 2. BayIfSMV: vgl. hier.
  • Entscheidungen zur und Genese der (1.) BayIfSMV: vgl. hier.