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BVerwG erneut zur Zulässigkeit der Untersagung gewerblicher Abfallsammlungen (hier: Altkleidersammlung)

Bemerkung der Landesanwaltschaft zu BVerwG, Urt. v. 11.07.2017 – BVerwG 7 C 35.15 / Weitere Schlagworte: Entscheidungsfrist (verneint); Überlassungspflicht; Entgegenstehen überwiegender öffentlicher Interessen; wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers; widerlegliche Vermutung; Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse; Irrelevanzschwelle

von Oberlandesanwältin Sigrid Kaiser, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsätze des BVerwG:

  1. § 18 Abs. 1 KrWG normiert keine Entscheidungsfrist für die Abfallbehörde. Sie kann auch nach Ablauf der Frist Anordnungen nach § 18 Abs. 5 KrWG treffen.
  2. Altkleider und -schuhe, die in öffentlich zugänglichen Containern gesammelt werden, sind Abfall i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 KrWG.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Nach den Urteilen vom 01.10.2015 (BVerwG 7 C 8.14 und BVerwG 7 C 9.14) zur Frage, ob Personengesellschaften Sammler i.S.d. KrWG sein können, dem Urteil vom 30.06.2016 (BVerwG 7 C 4.15) zur Frage, unter welchen Umständen überwiegende öffentliche Interessen i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1, 2 und 3 Nr. 1 KrWG einer gewerblichen Altkleidersammlung entgegenstehen, und dem Urteil vom 30.06.2016 (BVerwG 7 C 5.15) zur nötigen Darlegung der vorgesehenen Verwertungswege im Rahmen der Anzeige einer gewerblichen Altmetallsammlung befasst sich das BVerwG im vorliegenden Urteil vom 11.07.2017 (BVerwG 7 C 35.15) mit weiteren Rechtsfragen zur Zulässigkeit der Untersagung gewerblicher Abfallsammlungen. Dabei greift es abermals die Frage auf, unter welchen Umständen überwiegende öffentliche Interessen i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1, 2 und 3 Nr. 1 KrWG einer gewerblichen Altkleidersammlung entgegenstehen, und kommt insofern nochmals auf das Urteil vom 30.06.2016 (BVerwG 7 C 4.15) zurück.

1. Zunächst wird die Frage der „neutralen Behörde“ bzw. die Frage geklärt, wann das rechtsstaatliche Neutralitätsgebot eine Abfallbehörde, die eine gewerbliche Sammlung untersagt, unzuständig erscheinen lässt.

Ausgangspunkt dieser Problematik ist, dass eine mangelnde Distanz der Abfallbehörde zum öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und dessen Interessen Anlass zur Prüfung geben kann, ob rechtsstaatliche Gebote für die Gestaltung eines fairen Verfahrens zur Gewährleistung einer unparteiischen Aufgabenerfüllung oder der wettbewerbsrechtliche Missbrauchstatbestand des Art. 106 Abs. 1, Art. 102 AEUV der Zuständigkeit der handelnden Behörde entgegenstehen.

In Nordrhein-Westfalen, wo sich der Fall, der dem Urteil vom 11.07.2017 zu Grunde liegt, abspielt, sind die Landkreise für die Untersagung gewerblicher Abfallsammlungen nach Landesabfallgesetz zuständige untere Umweltschutzbehörden. Zugleich sind sie grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger. Der Landrat ist im entschiedenen Fall zugleich stellvertretender Verbandsvorsitzender eines als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Abfallwirtschaftsverbands, dem die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nach einer landesrechtlich eröffneten Möglichkeit übertragen worden sind. Das BVerwG sieht in dieser Konstellation die Neutralitätspflicht der handelnden Behörde als gewahrt an.

2. Sodann stellt das BVerwG klar, dass die Untersagung einer gewerblichen Sammlung unbeschadet des § 18 Abs. 1 KrWG auch später als drei Monate nach Eingang ihrer Anzeige ausgesprochen werden kann. Es sieht insofern die behördlichen Befugnisse nach § 18 Abs. 5 KrWG als ordnungsrechtliches Korrektiv für die Wahrung der Rechtmäßigkeit von Sammlungen. Die Behörde müsse auch nach Ablauf der Wartefrist des § 18 Abs. 1 KrWG auf Umstände reagieren können, die erst danach eintreten, z.B. auf Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Anzeigenden.

3. Nach Ansicht des BVerwG sind Altkleider und -schuhe, die in öffentlich zugänglichen Containern gesammelt werden, Abfall i.S.d. Definition des KrWG (§ 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 KrWG). Mit dem Einwurf in einen solchen Container gebe der Vorbesitzer die tatsächliche Sachherrschaft auf und übertrage sie an den Inhaber der Sachherrschaft über die Container. Er habe auf das weitere Schicksal der eingeworfenen Gegenstände keinen Einfluss mehr und wolle sie offensichtlich nicht mehr zum bisherigen Zweck gebrauchen oder anderweitig darüber verfügen. Die faktische Entledigung indiziere den Entledigungswillen.

4. Das BVerwG bestätigt die im Urteil vom 30.06.2016 (BVerwG 7 C 4.15, BVerwGE 155, 336), vorgenommene Auslegung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG als widerlegliche Vermutung. Es kennzeichnet die Entsorgung von Haushaltsabfällen einschließlich sortenreiner Abfallfraktionen wie Alttextilien als Dienstleisung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse („DAWI“) i.S.d. Art. 106 Abs. 2 AEUV. Es stellt fest, dass im KrWG gewerbliche gegenüber gemeinnützigen Sammlungen nicht in unzulässiger Weise diskriminiert werden. Eine Etablierung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers am Markt dergestalt, dass er Jahr für Jahr höhere Sammelmengen erzielt, widerlegt nach Auffassung des BVerwG die gesetzliche Regelvermutung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht unbedingt.

5. Das BVerwG verhält sich nicht ausdrücklich dazu, ob die Berechnung eines Überschreitens oder Unterschreitens der von ihm im Urteil vom 30.06.2016 (BVerwG 7 C 4.15) vorgestellten „Irrelevanzschwelle“ von 10 bis 15% nach der Vorgehensweise des BayVGH im Beschluss vom 30.01.2017 (20 CS 16.1416; a.A. VG Münster, Urt. v. 22.03.2017 – 7 K 700/14, 7 K 838/14, 7 K 1467/14; Urt. v. 02.06.2017 – 7 K 1129/14; VG Potsdam, Urt. v. 06.07.2017 – 1 K 675/15) richtig ist. Mit der auf seinen konkreten Fall bezogenen Feststellung „Die (…) prognostizierte jährliche Sammelmenge von 76 t für die angezeigte Sammlung der Klägerin im Gebiet der Stadt B. reicht bei einer jährlichen Sammelmenge des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers von 510 t bereits an den oberen Rand der Irrelevanzschwelle von 15%“, könnte allerdings der Bezugspunkt der Irrelevanzschwelle anders bestimmt worden sein als vom BayVGH.

Net-Dokument: BayRVR2017111501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)  

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwältin Sigrid Kaiser ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. für das Jagd- und Waffenrecht, Heilberufs- und Krankenhausrecht sowie das Abfallrecht zuständig.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB

  • Zur Rechtsentwicklung im Kontext „Gewerbliche Sammlung“: vgl. hier.